„Nicht was wir gelebt haben, ist das Leben, sondern das, was wir erinnern und wie wir es erinnern und davon erzählen.“ (Garbriel García Márquez) – Ein Auszug meiner Erinnerungen an die Netzwerktagung unter dem Motto „Krisen erkennen und bewältigen“.
Diese Veranstaltung wurde von der Akademie für psychosoziale Lebensberatung (APL) in Zusammenarbeit mit dem Bildungshaus Lichtenburg in Nals organisiert. Bereits in der Ausschreibung wurde vorausgeschickt, dass dieser Tag eine Möglichkeit für Austausch, Begegnung und Information bietet.
Ich bin Counsellor in Ausbildung und arbeite als Pädagogin im Liebeswerk, Meran. Ein Schwerpunkt in dieser Arbeit ist es, Krisen bei Kindern und Jugendlichen zu erkennen und diese mit verschiedenen sozialen Einrichtungen, wie zB Sozialdienst, Schule, Psychiatrie, Jugenddienst, und den Eltern gemeinsam zu bewältigen. Es ist doch ein schöner und befreiender Gedanke Teil eines Helfersystems zu sein und nicht allein mit einer Krise fertig zu werden. Geht dies überhaupt, alleine eine Krise zu bewältigen? Auf diese Frage erklang aus mir ein klares Nein, als ich mit Begeisterung das Impulsreferat von Mag. Robin Menges zum Thema „Krisen erkennen und bewältigen“ verfolgte. Zum Abschluss zitierte sie den Spruch von Gregory Bateson „Mindestens zwei sind nötig, damit einer sich kennenlernt“. Diese ausdrucksstarken Worte begleiteten mich durch die restliche Veranstaltung. Vor dem Impulsreferat stellten sich an die 15 soziale Einrichtungen und Dienstleistungen in Südtirol vor. Zu wissen, dass es diese Einrichtungen gibt ist eines, doch ein Gesicht, eine Stimme „live“dazu zu bekommen ist, machen sie lebendig und vor allem menschlich. In all den kurzen Vorstellungen hörte ich eine Grundbotschaft raus – „wir wollen uns vernetzen“, „wir brauchen andere soziale Einrichtungen und Dienstleistungen um einen Menschen, eine Familie aus einer Krise zu helfen“. Ich erinnere mich, dass sogar ein Vortragender oder war es eine Vortragende?, das afrikanische Zitat „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf“ erwähnte.
Spannend ging es in die erste Pause, wo mutig die ersten Schritte gewagt wurden, im „sich vernetzen“ zu erleben. Kontakte wurde zum einen aufgefrischt und zum anderen neu-geknüpft und vertieft.
Danach ging es mit 4 verschiedenen Workshops weiter. Gleich zu Beginn der Veranstaltung wurden die TeilnehmerInnen eingeladen, sich für einen Workshop anzumelden. Im Austausch mit anderen erfuhr ich, dass es vielen von uns ähnlich erging – am liebsten wären wir auf allen 4 Workshops gleichzeitig gewesen. Ich entschied mich für „Wie man Netzwerkarbeit wertschätzend entwickelt“ mit Mag. Robin Menges und Heinz Senoner. Unglaublich wie schnell 60 Minuten vergehen können, wenn man mit Leib und Seele dabei ist. Impulse, die ich mir mitgenommen habe: „Welchen Wert gebe ich auf, um zu kooperieren“, „Gruppengefühl vs Offenheit“, „in Netzwerke zu gehen bedeutet Kränkungen einzustecken und wenn’s wichtig ist, einen Konflikt zu klären“. Virginia Satir sagte: „Wenn 2 Personen in einem Raum sind, ist es im günstigsten Fall schwierig.“ Zudem sind zwei Fragen, die ich mir für meine künftige Netzwerkarbeit mitgenommen habe: „Was ist das Ziel des Netzwerks?“ und „Was ist meine Aufgabe in diesem Netzwerk?“. Diese Klarheit zu haben, scheint mir ein wertvolles Fundament für die Gestaltung eines Helferkreises zu sein.
Die anderen Workshops waren „AD/HS – Familien in der Krise“ mit Birgit Folie, Counsellor Prof., „Krisen überwinden durch Vergebung und Versöhnung“ mit Pastor Ulrich Wiegner, Pater Andreas J. Hinsen und „Begleiten im Wandel – Trauerkultur in Südtirol“ mit Mag. Rudi Sampt, Theologe; Astrid Fleischmann Counsellor Prof.
Anschließend ging es direkt über in eine Podiumsdiskussion, wo über Helfernetzwerke im Sozial- und Gesundheitswesen unter der Überschrift „Wie sich intelligente Netzwerke zueinander verhalten“, diskutiert wurde. Kompetente Persönlichkeiten wie Dr. Roger Pycha (Primar Psychiatrischer Dienst), Heinz Senoner (Direktor Südtiroler Kinderdorf), Doris Brunner (Klientin), Guido Osthoff (Caritas), Dr. Brigitte Waldner (Amtsdirektorin der Sozialsprengel und Senioren), Florian Ploner (Leiter vom Jugendzentrum Lana und Counsellor i.A.) haben wertvolle Inputs und ihre Erfahrungen zu folgende Fragen eingebracht:
1) Was stelle ich mir unter einem intelligenten Netzwerk vor?
2) Wo liegt der Fokus? Was ist das Ziel der Netzwerkarbeit? Die Frage nach dem Warum und Wozu?
3) Wie funktioniert dieses intelligente zueinander Verhalten? Gibt es auch dumme Netzwerke?
Moderiert wurde diese Diskussion von Ulrike Wiegner.
Ich erinnere mich an eine zunehmend lebendige Auseinandersetzung, die ihren Höhepunkt gegen Ende des vorgegebenen Zeitrahmens hatte. Dr. Roger Pycha erlebte ich sehr dynamisch und interessiert. Er wollte gleich zu Beginn der Diskussion das Publikum einbinden.
Im Nachhinein finde ich es schade, dass ich mir keine Notizen gemacht habe. Es waren ausdrucksstarke Argumentationen dabei, die in der Fülle an Beiträgen nicht mehr zu verständlichen Sätze geformt werden können. Gefühle und Gedanken, die die Podiumsdiskussion bei mir hinterlassen haben, kann ich jedoch in Worte fassen: Ein frischer Wind ist in die Netzwerkarbeit eingezogen, der veraltete Strukturen und auch Denkmuster in sozialen Einrichtungen und Dienstleistungen, aufwirbelt. Dabei entsteht neuer Raum für eine zeitgemäße und ganzheitliche Gestaltung eines Miteinanders zum Wohle unserer Klienten und Patienten in Krisen. Dazu braucht es schon viel Mut, Kraft, Ausdauer, großes Engagement, einen Weitblick und eine Plattform bzw. eine Veranstaltung wie diese hier, um einerseits zu sehen „ich bin nicht alleine“ und andererseits die Möglichkeit für Austausch. Es war sehr berührend und gleichzeitig ermutigend die Entstehungsgeschichte des Projekts „Begleiten im Wandel – Trauerkultur in Südtirol“ und das damit verbundene große Engagement von Rudi Sampt und Team, einen Weg zu finden, um mit Einrichtungen des Gesundheitswesen zusammenzuarbeiten zu können.
Beim Verfolgen dieser Podiumsdiskussion spürte ich ein großes Bemühen und Interesse jedes Sprechers für ein intelligentes Miteinander und deren Vorteile. Als Realist schätze ich die neue Bewegung in der Netzwerkarbeit – ich bin ja auch Teil davon – und lasse nicht außer Acht, dass ich dennoch auf Konkurrenz und Neid stoßen werde. Hier schließt sich für mich der Kreis – „in Netzwerke zu gehen bedeutet Kränkungen einzustecken und wenn’s wichtig ist, einen Konflikt zu klären“. Und mit Gottes Segen und Wachsamkeit, damit ich auch das Glück erkenne, das sich am Straßenrand zeigt, setze ich einen Schritt nach dem anderen in Richtung intelligente Netzwerkarbeit.
Sehr aufgeweckt ging es in die Abschlussrunde dieser Tagung – ins gesellige Beisammensein, das musikalisch von den Perls untermalt wurde. Ich beobachtete einen regen Austausch, interessierte und empathische Zuhörer, fröhliche Gesichter und wie Visitenkarten ausgetauscht worden sind. Nicht zu vergessen, das leckere „flying buffet“ von der Küche der Lichtenburg.
Zum Abschluss eine erheiternde Episode über „Wie der Start in eine herzliche und ehrliche Begegnung auch gelingen kann:“ Ich unterhielt mich mit einer Kollegin vom Counsellor Lehrgang, als ich sah, dass Mag. Robin Menges in meine Richtung kam. Die Stimme in mir jubelte und sagte:“Komm sprich sie an!“ „Vernetz dich!“ Aber mir fiel in der Eile kein „intelligenter“ Einleitungssatz ein. Doch die Chance wollte ich mir auch nicht entgehen lassen, um mit ihr ins Gespräch zu kommen. Plötzlich kamen folgende Worte aus mir heraus, als ich sah, dass sich unsere Blicke trafen: „Wie geht das nochmal mit dem Vernetzen?“ Mag. Robin Menges antwortete mir: „Mit einem Hallo.“ Aja, genau, ein einfaches Hallo!!! 🙂
Ein großes Dankeschön an Ulrike Wiegner, das Herzstück der APL, an die Counsellor-Gruppe des 2. Ausbildungsjahrs für die Organisation und Begleiten der Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Bildungshaus Lichtenburg und an alle anderen kompetenten Anwesenden – „Es sind Begegnungen mit Menschen, die das Leben lebenswert machen“ (Guy de Maupassant).
Von Sandra Scherz
Dipl. Gestaltpädagogin und Counsellor i.A.